TRANSIT - PASSPORT PROJEKT


"Am Anfang und je mehr ich der Grenze entgegenging, bildeten meine Schrittgeräusche einen Widerhall meiner Ratlosigkeit gegenüber des vor mir liegenden Weges. Meine Schritte sind aber gleichzeitig die Selbstsicherheit angesichts des bereits bewältigten Weges. Die Erinnerung ist mein gesichertes Terrain. Die Landkarten der frühen Entdecker waren prozessuale Entstehungsvorgänge: weiße Flecken werden in Wissen verwandelt. Im Mittelalter wurden die unbekannten Gebiete noch mit Phantasien angefüllt, mit Ungeheuern oder dem Eldorado, dem Goldland, dem Paradies.

Heute blicken orbitale Augen, die Satelliten, einen Lidschlag lang auf die Oberfläche der Welt und entschlüsseln im Handstreich ihre geheimen Botschaften. Aber all dies entspringt doch nur der irrigen Vorstellung, dass wir überhaupt wissen können, wie der Raum beschaffen sei."

 

Die Erinnerung braucht einen Gegenstand

 

In der Erinnerung erstarrt die Zeit, um sie im Fluss des Vergehens habhaft zu machen. Übergänge, Unschärfen und Undeutlichkeiten haben es schwierig im Bernstein der Erinnerung fixiert zu werden. Und so ist die Wahrnehmung von Raum die Wahrnehmung seiner Grenzen. Erst der Grenzübertritt, ob geographisch, kulturell, ethnisch oder künstlerisch, macht uns den Raum des hinter uns Gelassenen begreiflich. Nirgens ist ein Land oder ein Mensch so nah seiner Essenz, wie an der Grenze zum nicht mehr Sein. Kann aber auch der Übergang grenzenlosen Raumes einen Sinn hervorbringen?

 

Dietrich Kluge



Das Bild einer Gewitterwolke und der Vorgang der Kondensation.

Als Regen auf den Berghang, als Quelle aus dem Sand heraus rinnt das Wasser vorüber an Stein, Holz und Abfall. Am Ufer des Wasserlaufes sammeln sich Kiesel zwischen Laub und Metall. Unter den rostigen Brücken windet sich der Fluss, geteilt an den Pfeilern der Konstruktion die eine Straße trägt. Vom oberen Rand der Plattform, mit Aussicht ins neblige Land, führen Wege in beliebige Richtung.

„Wenn meine Schritte zu zaghaft den vor mir liegenden Grund absuchen, dann nicht allein aus Vorsicht, sondern weil die Erfahrung des sorgfältigen Schrittes die mir Dauerhafteste ist. Denn nur wen ich auf diese Weise gehe, zieht das Bild des zurückgelegten Weges sich stetig und leicht wie eine seidendünne Spur durch die Zeit. Das Gehen selbst, der immer wieder aufgefangene Fall nach vorn, wird dabei in seinem Rhythmus zur Gewohnheit einer unhörbar lauten Maschine.

 

Aber es bleibt die Vibration des Grundes. Geht zwar mein Blick gegen den Horizont, es ist nicht das Auge, sondern die Fußsohle mein eigentlicher Vorseher.

So war mir auch der Schutz des Fußes wichtiger als der des Auges. Denn es ist nicht die Sonne, die schmerzt, wohl aber die zitternde Tektonik des Grundes. In meinen Gedanken verbinden Sie sich: Die optische Horizontale, die gedachte Verbindung zwischen Netzhaut und Unendlichkeit, und meine Rückgratlinie zwischen Schädel und Erdmittelpunkt. Ist das vielleicht die verborgene Evidenz der Bewegung, die beide in meinem Kopf zusammenführt?"

Und im Gras, abseits des Asphalts – die Seiten eines Buches, getränkt mit klammer Luft. Vom welligen Papier steigt Dampf zur Sonne, zum erneuten Eintritt in die Wolken und Flüsse. Mit dem Nebel schwindet die Zeit.

 

Dietrich Kluge



CODE CHAPPE


„Der Direktor der Maschine fasse Nachrichten, die man ihm zur Versendung übergebe, kurz und bestimmt in telegraphischer Sprache, er lasse all die Abgeschmackten langen Titel und Komplimente, die gewisse Leute für Höflichkeiten und gute Lebensart hielten, weg, knete die Perioden zusammen, wähle die natürlichste Wortfolge, ergreife die geschmeidigste

Wendung, drücke mit wenigen und kleinen Worten richtig, gedrängt und schön aus, was unglückliche schwatzhafte Stilisten mit hundert großen schiefe und gedehnt herbeischleppten.” 

Karl-Friedrich Buschendorf

im »Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode« 1794